Kreidler

The Master Precision of Electronic Music Pop

Category: Wo

Charade

Liebe heißt, an die Abwesenheit ontologischer Präskriptionen zu rühren; sie ermutigt dazu, sich blind einer Leere anzuvertrauen.

(Markus Steinweg, Aporien der Liebe, Berlin 2010)

Maskeraden und History Repeating. Und ich merke es zu spät. Vielleicht nicht zu spät, oder, das Merken spielt nicht wirklich eine Rolle, aber die Trauer, den particularly Moment genau verpasst zu haben. Vielleicht war er auch nie da – oder, ich würde lieber sagen, noch nicht da, may I?

Eine Rolle spielen im Sinne einer starken emotionalen Reaktion. Hier: call it pain.

Sample and Hold.

Dreimal. Auf dem Weg zum Hauptbahnhof nach Harburg, zum Auftritt in den Phönix Hallen, und die fixe Idee, warum nicht fragen, wonna join? Und der Zug hat 2 Stunden VerspätungDie Perücke, die als einzige der angekündigten Verhüllungen blieb. Im Jaguar auf dem Weg nach Hamburg, mit AG und NP und V, und gerade die erste 12″ draußen, und das erste Mal etwaszusammengemacht mit V, also im Sinne eines greifbaren Objektes, eines Außen, zu einem Binford-Konzert in den Deichtorhallen, und der Videodreh im Auto, mit eben genau jener lilafarben Perücke. Und nun, zum Dritten, Mittelamerika, das Alles veränderte, änderte, endete. Vielleicht auch nicht. Aber das Wegsein ist ja auch immer Abenteuer und Verweile noch und Ablenkungen und Keine Gedanken Verlieren Verschwenden.

»Sie war offen für eine Sekunde.« »Dreimal.« »Nur für Dich. Und jetzt schließe ich sie wieder.« Vielleicht ist es auch nur das Grau, das sich senkt, Winter has befallen me, and I feel far from ready for that. Ich renne hin und her zwischen Holzblöcken und versuche, sie zum Singen zu bringen. Der Traum einer Freundin aus Mediterranien. Keine Musik. oν ἄπόρος. Auf ein besseres Morgen.

Wickel mich ins schwarze Shirt (the hammer of Thor)

»The thing about love is that you’re always at its mercy.«
Louise Delamere as Diane Holmes to Owen Harper (Burn Gorman)

Zurück von der Aeroplane. Zu schnell. Viel zu schnell. Wohin jetzt damit. Barenboim Klavier Schubert. Im Kreis um den Goldenen Engel. Und noch einmal. Und noch einmal. Ich finde den Ausgang nicht. Rote Blätter, gelbe, Grün dazwischen. Wickel mich ins schwarze Shirt. Auf dem Weg zum Café verliere ich die Wagenschlüssel. Nur 100 Meter. Warum. Vor und zurück. Vor und zurück. Wer ihn auflas, nenn’ ich ein’ Bösen. Mit der U-Bahn zum Ersatzschlüssel. Und eine Stunde später zurück. Der Wagen noch da, der Zettel kein reuiger Entwender sondern Protokoll. Den Polizeirufer, nenn’ ich den selben Bösen. Mehr Blätter, mehr Barenboim. Es regnet, im Wagen, der Nebel steigt, draußen treibt die Sonne ihr gleißendes Spiel. Was das jetzt soll, wer sagt es mir. Und wohin, sowieso. Cappuccino folgt auf Cappuccino. Winkt mich sanft durch den Schlaf. Immerhin das, Du verliebter Thor.

Zagreboctober (Tag Eins)

»The point is, Marta, that I never cared for art.« 

(HE)

Wie man den Flughafen verlässt und dann sucht und versucht, etwas zu sehen, was man noch nicht gesehen hat an anderer Stelle oder zu anderer Zeit, und dann vielleicht denkt, oh Trauerweiden mit runden Blättern, oder, diese kleinen Vögel und vielleicht, eine eigentümliche Kaminarchitekur und die abgerundeten Ecken, und das war es eigentlich auch schon, bis auf natürlich, wie ‘was neben, unter, hinter, vor oder auf ‘was platziert wird, dass das anders ist und einem vielleicht zu wiederum etwas anderem, für einem neuen bringt oder bringen könnte und sei es nur für einen Moment, diesen einen Moment. 

Zagreb also, viele ältere Leute auf den Straßen, viele gut gekleidete Mädchen, und Heinz Emigholz, der winkend um die Ecke kommt und mit dem wir dann Kaffee trinken. Fußwege in einer gemütlichen Kleinstadt, Kriminalität als Exportschlager vielleicht, zumindest hier gibt es keine, das Rennrad unabgeschlossen abgestellt, iPhone auf dem Caféhaustischchen, Terassen soweit das Auge reicht. Gemütlich. Aber, mit Verlaub, der Kaffee in Berlin ist besser (mittlerweile). Und hören? Als der Flieger startete, kurz nach sechs in ungewohntem Frühnebel, da strich und schleifte das Metal wie bei Morton Subotnik. Der gleiche Nebel empfing uns in Zagreb. Sonst war nicht viel. Am Tag Eins in Zagreb.

Acid Brass

»Mit Air Borderline nach Tegel«

Es gab in der Geschichte der Verunglimpfung von elektronischer Musik nur selten einen Moment, wo dieser tatsächlich die Welt weiterbrachte. Man kann mich jagen mit der Legion selbsternannter Klaviervirtuosen, die meinen, Jeff Mills in die Konzertsäle tragen zu müssen, oder, gefühlt noch schlimmer, ihre Flügel im Berghain aufschlagen. Als hätte das irgendeinen Erkenntniswert. Als gäbe es nicht den Quantumlock, der da sagt, die elektronische Komposition und das elektronische Gerät, auf dem sie komponiert wurde, seien nicht zu trennen.

Eines der wenigen Momente also, ist Acid Brass, zumindest das erste Album, und natürlich live. Das mag daran liegen, dass es die neuzeitliche Übertragung des kirchlichen Bachs weltlicher Parodien ist. Das mag am Bescheuertsein von Jeremy Deller liegen, wie es sich auch in der Acid<~>Brass begleitenden genealogischen Grafik manifestiert, an der verqueren Britishness im Generellen, wo auf Pub und Arbeiterklasse (im Guten) zugedrogte Akademia (auch im Guten) trifft, woraus dann eine irgendwie dandyeske Überhöhung entsteht, die es so eben nur in Old Blimey gibt (siehe beispielsweise auch das britische Fussballlied oder Edith Sitwell). Oder es mag an dem faden Essen liegen oder an dem schalen Bier, an der Sehnsucht nach Arcadia, dem System der Artschools, oder schlicht an einer Beschemeltheit als Resultat von Generationen, die ihr Dasein auf einem seit Jahrtausenden abgeschiedenen Eiland fristen.

Jedenfalls: Acid Brass. Und nicht irgendwo auf einem matschigen Openair, oder in kleinbürgerlicher Dämlichkeit, Model Wackener Feuerwehrskapelle, sondern in den Berliner Festspielen. Die Bühne auf der Bühne dreht sich in den Zuschauerraum und danach war Bestuhlung war gestern.

Was danach kam, tat dem Abend keinen Abbruch, fügte ihm aber auch nichts weiter hinzu.
Jeremy Deller im Gespräch, in seiner üblich gockelhaften Selbstverliebtheit.
Graham Massey of 808 State fame, der sich damals von den Royaltys für Pacific State eine Flöte kaufen konnte, mit der dann 1989 eben jenes Pacific State einspielte, meinte nun bei seinem holprigen Liveset dieselbe wieder auspacken zu müssen. Opa erzählt, wie Opa vom Krieg erzählt.
Dave Haslan, den Abend charmant und wissend einführend, seines Zeichens letzter Hacienda DJ, der von der Euphorie beim Erwerb amerikanischer Importplatten in Martin Price’s (of 808 fame) Eastern Bloc (Berlinwitz folgte) berichtete, 12inchs mit damals noch namenloser Musik, um dann in der architektonisch wunderbaren Nebenbühne-als-Disco tatsächlich nur Mix CDs abzuspielen. Immerhin elegant, und natürlich das Hit-Programm (durch die Manchester Brille) abfeuernd.
Und immerhin, zum Tanzen brachte er uns schon.

Neymar

»I think you’re wrong
this thing invents itself
and goes on and on and on«

(A. Reihse, L.A. Part I – City Of Fur)

Fußballschauen im Garten bei Sushi und nebenan die schöne Anna Vogel Ausstellung, die Jörg Sasse studiert hat, Gursky Rhein II und Gursky Beelitz, und daraus ihre eigenen Schlüsse gezogen hat, und dann mit Andro Tom Cruise im Sony Center bei Edge of Tomorrow besuchen, um mit Verwunderung festzustellen, dass und wie sich in den Angriffen der Aliens Anna Vogels Fotografien in Bewegung setzen. Film als Loop, Loop als Film, tatsächlich nicht doof, wenn man davon absieht, dass der Mainstream-Sci-Fi in den letzten Jahren sowohl als Fernsehserie wie im Kino mehr oder weniger offensiv für drastisches militärisches Aufrüsten und massiven Ausbau von Geheimdienstaktivitäten argumentiert.

Nicht die leiseste Erinnerung an die Filmmusik; ganz im Unterschied zum letzten Cruise, Oblivion, wo es nach zumindest gefühlten 30 – 40 Jahren überraschend einen elektronischen Score gab, und kein elendes John Williams (a.k.a. Daft Punk) Bombast-Geschmiere oder tribalistisches Getrommel trifft auf Metal-Gitarren. Danach tranken wir Martini Extra Dry, wurde Neymar gefault, und der Regen setzte ein.

Bovie

Bowie Ausstellung im Martin Gropius Bau. Wir bewegen uns vom Haus der Kulturen der Welt, wo gerade die Deklination des Begriffes Navigation in einer handfesten Auseinandersetzung zu Ende gegangen war, über die abgesperrte Straße des 17. Juni Richtung Potsdamer Platz.

»Vierzehn Euro Eintritt« schickt uns eine alte männliche sackgesichtige Unhöflichkeit an den anderen Schalter, er habe keine Lust mehr, Tickets zu verkaufen. Wir werden zu Kopfhörern genötigt, die sich im Ensemble von Diorama zu Diorama selbst weiterschalten werden, »sie müssen nur die Lautstärke regeln«; nicht nur wegen der Nadel im Ohr lasse ich sie meist um den Hals baumeln. Es gibt Ausschnitte von Bowiemusik zu hören. Und ab und zu auch mal einen Gastsprecher; was ja okay wäre, Bowies Stimme über die Jahrzehnte sowieso, wenn das, was zu sehen ist, nicht so jämmerlich aufbereitet wäre. Als Event, als Spektakel, als Taschenspielerei, als Guckloch, mit dicken Headlines, David Bowie hasn’t left the Building yet. Und dann David Bowie has left the Building now. Und so weiter. Und #tags an jeder Texttafel. Verwegen schräg gesetzt. Störer. Keine -isms aber -ions. invention, reduction, oblivion. Hallo!? Und Dunkel soll es sein. Sonst kommen die Illuminationen ja nicht gut oder die Hologramme. Geisterbahn. Ein einziges Darüberschmieren und Zuklatschen von Artefakten, wie ein aus den Fugen geratenes Fachhochschul-Projekt. Aber Zweitsemester. Vielleicht ein Problem des Designers, dass man immer vorne sein will, und denkt, alles aufzufahren, was an technischer Spielerei geht, sei cutting edge, und dann gar nicht mehr merkt, wie weit man eigentlich hinten liegt.

Zum Ende hin schwang sich die Ausstellung noch ein Ebene tiefer, wo dann auf Erich Heckel ein Ausschnitt von Michael Clark’s grandiosem Tanzstück come, been and gone folgte, aufs jämmerlichste editiert, und als finaler Appendix Bowie in Berlin, was ja manches hätte retten können, aber ein paar an die Wand geklatschte Bildchen… manchmal ist scheißiges Scheitern eben nur scheißiges Scheitern.

Holger Liebs meinte später, er hätte die Ausstellung in London gesehen und keine Erwartungen an das Display gehabt, er hätte es ja auch nicht wie eine Kunstausstellung betrachtet. Darum geht es ja auch tatsächlich nicht, aber hätten sich die Ausstellungsdesigner nicht vielleicht ein bisschen Kunst anschauen können, um sich davon inspirieren zu lassen? Einen von Mucha’s Höllenmaschinen-Räumen zum Beispiel; oder wie Wolfgang Tillmans seine Fotografien zeigt; oder wie Stephen G. Rhodes mit Räumen umgeht; oder die in die Ecke gedrückten alten Vitrinen im Londoner Natural History Museum.

Was allerdings toll an der Ausstellung war, dass ich sie mit KB besucht hatte. Und in der Nachsicht freuten wir uns über 14 Euro Eintritt; dass sich etwaig neugierige junge Menschen vielleicht doch von einem Besuch abschrecken lassen, stattdessen lieber für 6 Euro The Man Who Fell To Earth im Arsenal ansehen, sich ein Popcorn teilen und beseelt und inspiriert die Kurzstrecke nach hause antreten.

Ich dagegen musste mich anschliessend bei strengem Denken zurück im Haus der Kulturen der Welt erden.

Parismessidor

Ankler, Hoder, Segatnini

(Meisterwerke aus der Stiftung für Kunst, Kultur, und Geschichte, depliant »Ihr Reisebekleider« disponible sur votre pochette)

Es ist Modewoche in Paris. Es ist immer irgendeine Modewoche in Paris. Und wer denkt hier auch schon an Fußball. Vielleicht die Périphérique. Team Dreifarben Irgendwas. Es ist Modewoche in Paris und 22/4 hommes femmes hat uns eingeladen, im Silencio zu spielen. Im Bemühen mich auf den von David Lynch gestalteten Club einzustimmen, hatte ich Wild at Heart aufs iPad geladen. Ich denke, seine einzige Regiearbeit, die ich bisher zu schauen versäumt hatte. Kinder mit wilden Augen rütteln mich wach, ein Blick auf die победа lässt vermuten, dass ich bereits 20 Minuten nach Filmbeginn eingenickt war; ich drehe das Rad weiter, in weißer Voraussicht hatte ich auch Naked Lunch aufs iPad geladen. Ich glaube, die einzige Regiearbeit von David Cronenberg, die ich bisher versäumt hatte, zu sehen. Und seine universelle Abhandlung über die Schwierigkeit des Schreibens hält mich wach. Weit über die Pfalz hinaus. Ungebremst rast der TGV in den Gare de l’Est. Fur Disco.

Saison Frühjahr/Sommer 2015. Will ich das jetzt sehen, will ich das jetzt wissen – im anbrechenden Sommer 2014!? Will ich doch wenn schon dann auch jetzt haben. Wie die Modebranche ein noch seltsamere Welt geworden ist als die Musikindustrie. Das Silencio steht hübsch da, Vorhang auf, Kreidler an, Vorhang zu. Kleines DJ Anhängsel von Robert. Dann in der Nacht ist es nur noch Laden und zeigt sein hässliches Gesicht; das Publikum wird ausgewechselt, das Bier kostet 18 Euro und die Musik ist billigster R&B Disco House, den selbst ich nicht hören mag. Die anwesende Jeunesse Doré hat den Spagat, fein angezogen und dabei schlecht gekleidet zu sein, perfektioniert. Wie sich ein vorgeblich Mondänes und Kleinstadt dann doch immer wieder ähneln.

Nacht auf dem Schiff, Nespresso und Croissants am Morgen, Anne näht mir einen Knopf an, weiter geht das Leben. Danke Steffi und Gordon. Abfahrt.

Tumb Raider [Awst & Walther]

»Where do you draw the line,
On school trips to France«
(Terry Hall, Fun Boy Three, Well fancy that)

Sonne sticht. Und Wind weht. Weht kühl. Sigal Zouk dreht sich im geschützten Glas. Ich versenke mich tiefer im dichten, weichen Gras. Ein aufmerksames Dämmern zu Theorie-und Praxis-Input. Um 18 Uhr dann in die Höhle. Eine nette Idee, von Dr. Gary Robinson referiert, die zwei gefundenen ein paar tausend Jahre alten Körper seien möglicherweise kein Führungspersonal gewesen, sondern über ihr Ableben hinaus gefährliche Feinde, die man sicher weggesperrt verscharren musste. Robin Mackay endete seinen Talk mit einer Zeitreise, ich denke an Mercury Station und installiere mein Kleinelektro-akustisches Set auf einer schiefen, herabgestürzten Deckenplatte. Aneignen Modernistischer Gestaltungsprinzipien in Form eines Betongewölbes in begehbarer Präsenz-Archäologie. So weit war man in den 1950ern noch. Ich kriege noch eine andere Idee: der Tomb in Barclodiad-y-Gawres galt den Neolithischen Baumeistern als misslungenes Werk, weswegen sie es unter einem Erdhügel vergraben hatten; leider aber haben ihre meisterhaften Holz-Architekturen die Jahrtausende nicht überstanden. Headroom bis zum Abwinken, mein leisestes Konzert ever, Hurdy-gurdy resoniert nun mal nicht auf Stein auf Stein auf Stein. Ich splitte die Kabel und schleife alle Signale durch das Korg Monotron MS20 Delay. Das selbstgelötete Conrad-Electronic-Digitalecho versagte im mobilen Einsatz leider doch, zu wenig Spannung von der Knopfbatterie. Raus in die Sonne, zweites Set, Sounddrop vom iPad, LFO-Dreieckswellen-geschreddert. Sigal dreht sich dazu im Glas und raus aus dem Glas und um das Glas herum und über mich hinweg und schnappt sich den übermütigen Fan als Gerüst und lässt ab, rollt ihn den Hügel runter, Crépuscule, dem Morgen entgegen.
Danke, Applaus, Abgang.

Erschöpfung.

Boiler Room

»Sally chrome boy chrome,
Sally chrome boy chrome«
(T Rex, Sally Chrome Boy)

Flexender Funkenflug stiebt um meinen ehemals Berliner zweitliebsten Flughafen. Dieses gleißende Schneiden kriegt Helios Creed auch mit dem zusammengewürfeltem Etwas hin, das er neuerdings Chrome nennt. Natürlich sieht er am Besten aus, ein dunkler Solitär in eisendrahtigem Junkie Cowboy Look. Unverständlich zischend majestätische Ansagen. Kreissäge durch Metal. Zwischendurch aber, wenn der Sound ins Loolapaloozarockige abdriftet, wird seine Führungsschwäche offenbar. Und dann tut auch die lasche Kleiderordnung weh, die Band in bunten Fan-T-Shirts ihrer anderen Projekte, und dann tun auch die Keyboardtürme weh, wo doch ein einzelnes Korggerät oder Yamaha oder Kurzweil bessere Dienste tun würde, und dann versteht man auch, wie sehr Damon Edge fehlt, und die mäßig gefüllte Halle, wo Chrome doch ein Postpunkereignis sondergleichen sein könnte. No Boiler Room here. Lässt mich an Jochen Diestelmeyer denken und an das zusammengewürfelte Socken in Sandalen tragende Etwas, das er, der er natürlich auch grandios aussah, zuletzt seine Band nannte (bevor Pringles, die Spartakbank, Isana Arztseife, oder war es Theater Heute, mit dem Cheque wedelte). Große Diktatoren wie Ralf Hütter lachen nur laut, und so macht den aufgequollenen Pensionärskörpern zum Trotz dank strikter Hand Kraftwerk immer noch Staat.

HaHaHamburgMaiaiaiaiai

»Mojo’s Workin’«
(Black Mojo, Warp Records, WAP43, 1994)

Kennt noch jemand den Mojo Club? Das war mal zu Downbeat Zeiten ein angesagter Laden in Hamburg, und zu Downbeat Zeiten wurden wir auch irgendwie da reingepackt, erst in den Downbeat und dann in den dazu angesagten Laden (man wußte und weiß bei Kreidler’s Musik ja nie so genau, was das denn jetzt alles zu bedeuten habe); wo wir mit Red Snapper spielten, an die ich keinerlei musikalische Erinnerung habe (ich werde nicht müde, zu wiederholen, dass bis auf wenige Ausnahmen, nur die ca. ersten fünf Jahre von Warp Releases beispielhaft, von unverzichtbarer Grandezza und somit des Überdauerns würdig sind (Red Snapper kam im sechsten Jahr), auf dass das frühe Warp Label wiedererstehen möge aus der Asche des mittleren bis späten bis jetzigen (Cato’s Ceterum Censeo, das ja auch den Untergang Karthagos einleitete, im Sinne)). Unser dritter Auftritt in Hamburg. Damals. Und warum dann nicht im Zwanzigjährigen, dachten wir. Da das Mojo wieder wiedereröffnet worden war.

Aber eigentlich wollte ich gar nicht mehr sprechen vom Mojo Club. Zumal er auch von irgendeinem BWL-Experten sprich Trendscout beraten, eine Gruppe adressiert, die vielleicht doch nicht so die unsere ist. BWLer und Trendscouts vermutlich. Nichts dagegen, natürlich. Solange sie ihren Beruf lieben.

Booking und Verschiebung also. Bei unserer 2000er Mnemorex-Tour sollten wir am selben Abend in München spielen wie Tuxedomoon supported by DJ Hell. Der schlaue Promoter legte beide Veranstaltungen zusammen, was, so weit mein Erinnern, für alle Beteiligten grandios war. In Brüssel hatten wir Samstag auf der Agenda. Als Freitag um 17 Uhr der Anruf kam, wo wir denn blieben, ließen wir die Bahntickets für Samstag verfallen und hetzten mit dem Kleinwagen ins Botanique, bauten unsere Geräte im Auto zusammen und waren pünktlich zum Konzertbeginn auf der Bühne. Es war Franz Treichler’s Copier Coller Festival und ein super Abend. Als Basti mich anrief, dass das Mojo ihn gerade angerufen hätte, dass sie versehentlich ein Doppelbooking getätigt hätten, dass für den Abend unseres Auftritts eine ältere Option bestanden habe, die sie übersehen hätten, wegen hausinterner personeller Verschiebungen, klang das etwas zu faul, so dass ich dachte, wahrscheinlich veranstalten sie doch lieber einen DJ Abend, womit man mit weniger Aufwand einen größeren Reibach machen kann, aber Basti, unser Booker, antwortete, »ne, Paul Weller.«

Die Lüge der älteren Option flog in Minuten auf, man hat ja Internet, die für eben jenen Tag in Dresden angesetzte Paul Weller Show, war nun plötzlich ersatzlos gestrichen, »aufgrund Verschiebungen im internationalen Tourplan« – was ich mit mauer Vorverkauf übersetzen möchte, und auf Paul Wellers eigener Seite als Breaking News, »new intimate club show in Hamburg announced«. Dass befreundete Booker Hamburger Clubs vom Anruf der Agentur Paul Wellers erzählten, die kurzfristig einen Gig buchen wollten, geschenkt. Hätte der Ort, über den ich gar nicht mehr sprechen will, nicht einfach den Anstand besitzen  können, zu sagen, sorry, Big Deal für uns, Ausfallhonorar für Euch, und wir holen das Kreidler Konzert im Herbst nach?

Aber vielen Dank an das tolle (sowieso) Uebel & Gefährlich, die uns so kurzfristig noch ein Plätzchen schufen, und an das Publikum, und die Nacht wurde lang im Aalhaus und wir fielen dann allesamt bei Ruth Mayayayayay und Kante Peter in die Betten.

Aber eigentlich wollte ich doch von der Freude berichten, die es immer bereitet in Hamburg, Tobias Levin zu treffen. Diesen Leuchtturm der Schlauheit, umso mehr, da das andere oft besungene Genie Ted Gaier leider nicht in der Stadt weilte, und Gremliza bekennendermaßen Frank Sinatra hört.